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Bertha Lengel, geborene Lirt [*1872]

Geboren am 15.04.1872 in Dąbrowa, Galizien, Österreich-Ungarn (heute Dąbrowa Tarnowska, Polen), gestorben im Jahr 1942 in Treblinka im Alter von 70 Jahren
Bertha Lengel, o.D.; Privatbesitz Joan Lengel
Bertha Lengel, o.D.
Privatbesitz ...
Bertha Lengel mit Tochter Elisabeth, Lüneburg, um 1917; Privatbesitz Joan Lengel
Bertha Lengel mit Tochter Elisabeth, ...

Wohnort

Familie Hirsch Lengel (1919-1940)
Witwe Esther Feintuch (1925)
Familie Heinrich Kapp (1926-1933)
Albert und Anna Horwitz (1941-????)

Salzbrückerstraße 64 (69)
21335 Lüneburg

Wohnort

Familie Hirsch Lengel (1904-1919)

Salzbrückerstraße 23
21335 Lüneburg

Wohnort

Bertha und Hirsch Lengel (1942)

Bardowicker Wasserweg 4
Lüneburg

Bertha Lirt wurde 1872 in der kleinen galizischen Stadt Dąbrowa (manchmal auch Dombrowa geschrieben) geboren, die damals zum österreichisch-ungarischen Reich gehörte. Um 1897 heiratete sie Hirsch Lengel, der ebenfalls aus Dąbrowa stammte. Zu dieser Zeit gab es in der Stadt eine große jüdische Gemeinde, doch war es für Juden angesichts von antisemitischen Ausschreitungen und wirtschaftlichen Problemen sehr schwierig, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Zwischen 1898 und 1903 brachte Bertha in Dąbrowa vier Kinder zur Welt. Nach der Geburt des vierten Kindes, der Tochter Sonia, beschloss die Familie Lengel, Dąbrowa zu verlassen. Im Jahr 1904 kamen sie in Lüneburg an. Vermutlich standen sie in Kontakt mit Frieda Klein geb. Lirt, einer Verwandten von Bertha aus Dąbrowa, die mit ihrem Mann seit 1902 in Lüneburg lebte. Die Lengels hofften, dass das Leben für ihre wachsende Familie in Deutschland, und speziell in Lüneburg, besser sein könnte als im politisch und wirtschaftlich unruhigen Galizien.

Als Kaufmann spezialisierte sich Hirsch Lengel in Lüneburg auf den Handel mit Rohstoffen, Kohle und Altmetall. Bertha Lengel wird sicher im Laden mitgearbeitet haben, Die Familie arbeitete hart, sie waren erfolgreich, ihre Geschäfte liefen langsam immer besser. In Lüneburg bekam Bertha zwischen 1904 und 1909 noch vier weitere Kinder. Grete, die Jüngste, starb 1912 im Alter von 3 Jahren und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Lüneburg begraben.

Im Jahr 1914 musste Hirsch Lengel Lüneburg verlassen, um als Soldat der österreichischen Armee im Ersten Weltkrieg zu dienen. Bertha blieb mit den sieben Kindern allein in Lüneburg zurück.

1919, kurz nach Hirsch Lengels Rückkehr nach Lüneburg, kaufte die Familie ein großes Haus in der Salzbrücker Straße. Das Haus der Lengels wurde ein Treffpunkt für die wachsende Gruppe der so genannten Lüneburger "Ostjuden". Die meisten von ihnen waren erst nach dem Ersten Weltkrieg aus Polen oder Russland nach Westen gezogen. Es fällt auf, dass einige Menschen aus Dąbrowa in Lüneburg ihre neue Existenz aufzubauen versuchten, einige von ihnen arbeiteten auch bei den Lengels: Zum Beispiel die Brüder Jakob Jassy und Leopold Jassy oder die Brüder Hirsch Sturm und Wolf Sturm.

Im Jahr 1923 wurden Bertha und Hirsch Lengel mit all ihren Kindern deutsche Staatsbürger. Nach dem Beginn der NS-Herrschaft wurde ihnen diese Staatsbürgerschaft allerdings schon 1935 wieder entzogen. Sie waren nun offiziell staatenlos, was auch bedeutete, dass sie ohne jeden Schutz waren.

Im Zuge der Novemberpogrome 1938 gehörte Hirsch Lengel zu den elf jüdischen Männern aus Lüneburg, die ins KZ Sachsenhausen verschleppt wurden. Im Unterschied zu vielen anderen Häftlingen wurde Hirsch Lengel schon nach wenigen Tagen wieder entlassen. Möglicherweise hatte das mit seinem Alter zu tun. In jedem Fall wurde er nur unter der Bedingung entlassen, den Zwangsverkauf seines Hauses in der Salzbrücker Straße voranzutreiben, alle notwendigen Papiere dafür so schnell wie möglich zu unterschreiben und die Emigration der Familie voranzutreiben. Bertha Lengel musste unter großem Druck schnell alles organisieren.

Zu jener Zeit lebten die meisten ihrer Kinder schon nicht mehr in Lüneburg: Sie waren in andere deutsche Städte umgezogen oder nach Holland, nach Frankreich und in die USA ausgewandert. Ihr jüngster Sohn Jakob, der in das elterliche Geschäft mit eingestiegen war, war bereits 1937 ins KZ Dachau und später von dort ins KZ Buchenwald deportiert worden. Er wurde erst Anfang 1939 entlassen, unter der Bedingung, das Land so schnell wie möglich zu verlassen.

Jakob Lengel entkam gerade noch rechtzeitig vor Kriegsausbruch, er floh im Juni 1939 nach England und später in die USA. Seine Eltern wollten ihm wenig später folgen. Doch der Krieg brach im September 1939 aus, und bald saßen Bertha und Hirsch Lengel in Deutschland fest. Sie waren nun nur noch Mieter in einer kleinen Wohnung in dem Haus in der Salzbrücker Straße, das ihnen zuvor selbst gehört hatte.

Im Juni 1942 mussten sie aus dieser Wohnung in ein winziges Zimmer im Armenhaus der Stadt im Bardowicker Wasserweg umziehen. Von dort aus wurden sie deportiert, zunächst am 20. Juli 1942 nach Theresienstadt, von dort am 21. September 1942 weiter ins Vernichtungslager Treblinka, wo Bertha Lengel geb. Lirt und ihr Mann Hirsch Lengel ermordet wurden. Auch vier ihrer acht Kinder kamen im Holocaust ums Leben.


Quellen und Infos:

Rückgabe von Museums­objekten an die Erben des Lüne­burger Kauf­manns Hirsch Lengel

Familienbriefe, Privatbesitz Joan Lengel, USA

Indexkarte für Auswanderungswillige, JDC, Transmigration Bureau